Fragen und antworten

1. Was versteht man unter Zwangsheirat?

Informationen zur Definition der Zwangsheirat/Zwangsehe finden Sie hier.

2. Besteht ein Unterschied zwischen Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten?

Eine arrangierte Heirat liegt vor, wenn der künftige Ehepartner oder die künftige Ehepartnerin von Dritten bestimmt werden – oftmals von den Eltern. Für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist dies die gängige Form der Eheschliessung (Penn 2011). Im Normalfall dürfen die künftige Ehepartnerin oder der künftige Ehepartner die vorgeschlagene Partnerin bzw. den vorgeschlagenen Partner ablehnen, ohne negative Folgen befürchten zu müssen. Wird der Einspruch der Person jedoch nicht berücksichtigt oder traut sich diese nicht, sich zu wehren, da sie sonst mit massivem Druck rechnen muss, liegt eine Zwangsheirat vor.

In der Praxis ist es nicht immer einfach, arrangierte Heiraten von Zwangsheiraten zu unterscheiden, da die Grenzen zwischen den beiden Heiratsformen verschwommen sind. Es ist aber dennoch wichtig, dass die beiden Konzepte nicht in den gleichen Topf geworfen werden. So lange die Betroffenen eine arrangierte Heirat ablehnen können, besteht bezüglich der Menschenrechte kein Problem. Zwangsheiraten hingegen stellen eine Verletzung der Menschenrechte dar.

Bei der Abklärung, ob es sich um eine Zwangsheirat handelt, ist nur ausschlaggebend, ob die betroffene Person selbst das Gefühl hat, sie sei unter Druck gesetzt worden. Für Aussenstehende mag eine Situation schwierig, unerträglich oder unangenehm scheinen. So lange jedoch die betroffene Person dies nicht so empfindet, kann nicht von einer Zwangsheirat gesprochen werden.

Interessant ist, dass eine Zwangsheirat nicht zwingend durch eine arrangierte Heirat entsteht, denn die Wahl der künftigen Ehegatten wird nicht unbedingt von Dritten getroffen. So gibt es Fälle, in denen eine Person von ihrem Umfeld gezwungen wird, eine Person zu heiraten, mit der sie selbst eine Beziehung eingegangen ist, die sie jedoch nicht heiraten wollte. Oft sind es die Ablehnung von vorehelichem Geschlechtsverkehr und die Angst vor einer unehelichen Schwangerschaft, die das Umfeld zu einem solchen Verhalten treiben.

Penn, Roger, 2011, «Arranged Marriages in Western Europe. Media Representations and Social Reality», in Journal of Contemporary Family Studies, 42 (5): 637-650.

3. Was ist der Unterschied zwischen Scheinehen und Zwangsheiraten?

Obwohl die Aussicht auf eine Aufenthaltsbewilligung bei gewissen Zwangsheiraten eine Rolle spielt, spricht man in diesen Fällen nicht von Scheinehen.

Diese beiden Arten der Ehe basieren nämlich auf einer völlig unterschiedlichen Logik. Bei einer Scheinehe beschliessen zwei Erwachsene aus freien Stücken zu heiraten, um die Bestimmungen des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung zu umgehen, wobei häufig auch Geld im Spiel ist. Die Ehepartner tun dabei so, als ob sie zusammen eine Ehe führen würden, und das in der Regel bis die Aufenthaltsbewilligung oder der Schweizer Pass ausgestellt worden ist. Bei Zwangsheiraten hingegen besteht die Absicht, eine langfristige Ehe zu schliessen, auch wenn eine «Eintrittskarte» in die Schweiz in einigen Fällen eine Rolle spielen mag. Das Umfeld, das die betroffene Person zu einer solchen Heirat zwingt, hält den Druck im Normalfall auch während der Ehe aufrecht, damit diese weitergeführt und für Nachwuchs gesorgt wird.

4. Wie gross ist die Anzahl der Zwangsheiraten in der Schweiz?

Genaue Zahlen zum Phänomen der Zwangsheirat zu nennen, ist nicht möglich. Zwang ist ein subjektives Gefühl, das sich von aussen nicht objektiv definieren lässt. Dazu kommt, dass Zwangsheiraten oft im Kreise der Familie stattfinden und nur bekannt werden, wenn sich die betroffene Person entschliesst, offen darüber zu reden. Aus diesem Grund müssen die genannten Zahlen immer mit Vorsicht interpretiert werden.

Die vom Bundesrat in Auftrag gegebene Studie geht von einer approximativen Schätzung der Anzahl Fälle in der Schweiz für die Jahre 2009 – 2010 aus. Diese Schätzung beruht auf einer Online-Erhebung, die in der ganzen Schweiz durchgeführt worden ist und an der 229 Institutionen, die in verschiedenen Bereichen tätig sind (Integration, Schule, Polizei, Gesundheitswesen, Gleichstellung, Opferhilfe usw.), teilgenommen haben.

Nach Eliminierung potenzieller Doppelspurigkeiten wird die Anzahl der Personen, die unter Druck gesetzt wurden, gegen ihren Willen eine Heirat einzugehen, in der Studie auf 348 Personen geschätzt. Die Zahl der Personen, die zum Verzicht auf eine Liebesbeziehung gezwungen wurden, kann aufgrund der Antworten der Expert/-innen mit 384 beziffert werden. Schliesslich wurde in der Studie noch eine dritte Kategorie untersucht, und zwar diejenigen Personen, die an einer Scheidung gehindert werden, also gezwungen sind, verheiratet zu bleiben (Zwangsehe). Hier gehen die Schätzungen von 659 Fällen aus. Diese Form der Zwangssituation kommt weitaus häufiger vor als die beiden anderen und macht mehr als die Hälfte der Fälle aus. Interessanterweise werden in dieser dritten Kategorie im Vergleich zu den beiden anderen viel mehr Formen von Zwang ausgeübt und diese Personengruppe macht mehr als die Hälfte aller Fälle aus.

Die genannten Zahlen zeigen, dass Zwangsheiraten in der Schweiz sehr wohl existieren, aber kein Massenphänomen sind.

5. Wie sieht das Profil der betroffenen Personen aus?

Das Profil der Personen, die wegen einer Zwangsheirat oder Zwangsehe bei den Institutionen Hilfe suchen, ist extrem unterschiedlich, wie die Ergebnisse der vom Bundesrat in Auftrag gegebenen Studie zeigen. Es gibt keinen Idealtyp der betroffenen jungen Frau (oder des betroffenen jungen Mannes). Dagegen lassen sich einige allgemeine Tendenzen bestimmen.

Das sozioökonomische Profil der von einer Zwangsheirat betroffenen Personen lässt sich folgendermassen beschreiben: Es handelt sich hauptsächlich um junge Frauen zwischen 18 und 25 Jahren. Zu 81 % sind die Betroffenen Ausländerinnen und Ausländer, mehr als ein Drittel (38 %) von ihnen ist in der Schweiz geboren. Die Mehrheit, d.h. 76 % sind im Besitz einer Niederlassungsbewilligung C. Sie stammen vor allem aus den Balkanländern, der Türkei und aus Sri Lanka. Diese Personen sind weitgehend gut im Schweizer Arbeitsmarkt und Bildungssystem integriert.

Personen, die daran gehindert werden, sich scheiden zu lassen, das heisst die gezwungen sind, in einer Ehe zu bleiben, weisen ein etwas anderes Profil auf. In der Regel sind die Frauen älter (72 % sind über 25 Jahre). Die Mehrheit der betroffenen Personen (85 %) ist im Ausland geboren und verfügt weniger häufig über die Schweizer Staatsbürgerschaft (80 % sind Ausländerinnen und Ausländer). Über die Hälfte von ihnen besitzt eine Aufenthaltsbewilligung B (47 %) oder N/F (6 %). Das bedeutet, dass ihre Situation bezüglich Aufenthaltsstatus prekärer ist. Die Betroffenen kommen in erster Linie aus den Balkanländern, der Türkei und Sri Lanka, aber auch aus Südamerika und anderen Ländern. Sie sind nur teilweise in den Arbeitsmarkt integriert und weniger gut ausgebildet. Die Hälfte befindet sich in einer Situation wirtschaftlicher Abhängigkeit.

6. Sind Männer ebenfalls betroffen?

Obwohl Frauen viel häufiger zu einer Heirat gezwungen werden, kommt es auch vor, dass Männer in diese Zwangssituation geraten. Eine kürzlich in der Schweiz durchgeführte Studie  quzeigt, dass 13 % der Betroffenen, die sich im Zeitraum 2009 – 2010 an Fachpersonen gewandt hatten, weil sie gegen ihren Willen zueiner Heirat gezwungen werden sollten, Männer waren.

Während eine Studie des deutschen Bundesministeriums für Familien für das Jahr 2011 davon ausgeht, dass weniger als 10 % der Fälle Männer betreffen, spricht die Statistik der Forced Marriage Unit (FMU) in Grossbritannien von einem Männeranteil von 18 % im Jahr 2012.

In diesem Zusammenhang müssen zwei Elemente präzisiert werden. Erstens ist die Zahl der betroffenen Männer möglicherweise höher, als die verfügbaren Statistiken angeben, da es Männern schwerer fällt, bei Institutionen Hilfe zu holen.

Zweitens scheinen diese Zwangssituationen unterschiedliche Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Personen zu haben, je nachdem, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Zum Beispiel gibt es erhebliche Unterschiede, was den Handlungsspielraum und die Ressourcen betrifft, die Männern respektive Frauen in diesen Zwangssituationen zur Verfügung stehen. Männer haben häufig mehr Möglichkeiten, Ausweichstrategien zu entwickeln, wie beispielsweise ein «Doppelleben» und eine aussereheliche Beziehung zu führen. Sie laufen auch weniger Gefahr, in ihrer Ehe häuslicher Gewalt ausgesetzt zu sein und ihr Sozialleben wird in der Regel weniger beeinflusst als das der Frauen.

7. In welchen Bevölkerungsgruppen kommen Zwangsheiraten vor?

Gemäss einer im Auftrag des Bundesrates durchgeführten Studie, sind 81 % der Personen, die sich an Institutionen in der Schweiz wenden, weil ihnen eine Zwangsheirat droht,Ausländerinnen und Ausländer. Von ihnen besitzen 7 % eine doppelte Staatsbürgerschaft, 12 % sind Schweizer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Von diesen 12 % wiederum sind 9 % eingebürgerte und 3 % gebürtige Schweizerinnen und Schweizer.

Die meisten der betroffenen Personen stammen aus den Balkanländern, der Türkei und aus Sri Lanka.

Allerdings sind diese Informationen mit Vorsicht zu behandeln und dürfen nicht voreilig interpretiert werden. In der Tat kann die starke Vertretung gewisser Nationalitäten auf ihren hohen Anteil innerhalb der in der Schweiz ansässigen Bevölkerung zurückgeführt werden. Anders ausgedrückt muss man sich folgende Frage stellen: Liegt es nicht einfach an der grossen Anzahl der in der Schweiz wohnhaften Personen aus den Balkanländern (oder der Türkei usw.), dass diese besonders häufig von Zwangsheiraten betroffen sind?

Tatsächlich variiert das Profil der betroffenen Personen in den europäischen Ländern. Nimmt man zum Beispiel Statistiken der FMU, für Grossbritannien aus dem Jahr 2012, zeigt sich folgendes Bild: 47 % der Betroffenen stammen aus Pakistan, eine Gruppe, die in der Schweizer Statistik praktisch nicht auftaucht. Dagegen stammt nur 1 % der Betroffenen aus der Türkei, ausserdem taucht in den FMU-Statistiken kein einziges Land des ehemaligen Jugoslawiens auf.

8. Was sagt das Schweizer Recht zu Zwangsheiraten?

Siehe Rechtliche Grundlagen

9. Wie kann ich einer Person helfen, die von einer Zwangsheirat betroffen ist?

Vielen betroffenen Personen hilft es bereits sehr, wenn sie mit einer Person, der sie voll vertrauen, die ihnen zuhört und die einfühlsam ist, über ihre Lage sprechen können.
Danach kann die Person immer noch an eine Stelle verwiesen werden, wo sie professionelle Unterstützung erhält und sich direkt von einer Fachperson beraten lassen kann.

Hier finden Sie die Beratungsangebote in den verschiedenen Regionen der Schweiz.